Guten Morgen. Ich hatte anfangs einen ganz gut komprimierten Text mit ein paar zentralen Aussagen. Diesen Kerntext habe ich mit einfacheren und flacheren Textteilen und Zitaten umspielt und gedehnt.
Die Ausdehnung der Stadt ins Land nennt man den Sprawl. Um in die Innenstadt zu gelangen, durchfährt man kilometerlang den Sprawl, der inzwischen allen Städten gleichförmig vorgelagert ist. Die Sprawls der Städte ähneln sich so sehr, daß man an ihnen die dazugehörige Stadt nicht mehr erkennen kann. Die Städte jedoch, innen, sind restauriert und zurechtgemacht, mit architektonischen und städtebaulichen Highlights versehen, für eine bessere Wiedererkennung und Erinnerung, für eine eigene Identität.
Afrikanische und südamerikanische Städte wachsen außen, an den Rändern, durch Armut. Die alte europäische Stadt wächst heute meist von innen, durch Geld. Chinesische Städte wachsen noch schneller als nordamerikanische Städte. Das ist der große Maßstab. Der kleine Maßstab ist der einzelne Bewohner der Stadt. Der Mensch, der seit Jahren in seiner Stadt lebt, in seinem Viertel, seinem Quartier, seiner Straße, seiner Wohnung, seinem Haus. Der Mensch, der sein Treppenhaus benutzt, seine Haustür schließt, seinen Briefkasten leert, seine Wohnungstür öffnet, seinen Nachbarn trifft, seinen Frisör aufsucht, seinen Einkaufswagen schiebt, seinen Parkplatz sucht, seinen Nachhauseweg antritt, seinen Hund Gassi führt, in seinem Park die Enten füttert, der einmal um den Block geht.
Es gibt 3.000 bis 4.000 unbeantwortete Fragen in diesem Zusammenhang. Zwei davon lauten:
Wie stark wird dieser Mensch durch die Architektur seiner Stadt beeinflußt? Wie stark beeinflußt dieser Mensch die Architektur seiner Stadt?
Der soziologische steht dem ästhetischen Aspekt der Architektur fast diametral gegenüber:
Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper.
Der Architekt entwickelt und baut Modelle seiner Konzepte und Entwürfe, meist um sich selbst und anderen bestimmte Entwurfsschritte zu verdeutlichen.
Das hier ist keine Architektur. Das ist umgekehrte Architektur. Anti-Architektur. Eine Art Gegenarchitektur also? Nein.
Eher schon innere Architektur oder Negativ-Architektur. Also doch Architektur?
Nein. Es erscheint wie Architektur, ist es aber nicht. Aus verschiedenerlei Gründen.
Zum Beispiel weil es keiner bauen will. Das hier hat so niemand in Auftrag gegeben. Das sind nicht die Ergebnisse sozialer Studien. Das sind keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die in stadtplanerischen Konzepten gipfeln, das sind keine Wettbewerbsbeiträge, keine Utopien, keine Visionen, keine Kompromisse, keine Stufenpläne, Realisierungsvorhaben, da gab es keine Planfeststellungsverfahren, keine Bebauungspläne, keine Gestaltsatzungen und keine Bauvoranfragen, ja, noch nicht einmal Bürgerbefragungen.
Keine Metropole, keine Stadt, das hier sind doch keine Quartiere, Wohngebiete, Mischgebiete, Kerngebiete. Noch nicht mal Abbildungen solcher. Oder doch? Sind das Miniaturen von Häusern, Wohnvierteln, sind das Ideen für die reale Welt, für eine bestimmte Stadt, für eine bestimmte soziale Schicht, das dort etwa eine Villenlandschaft für die Reichen, hier Mietshäuser für die Armen? Nein, auch wenn es Ihnen so im ersten Eindruck erscheinen mag, das ist es alles nicht.
Und hier fährt auch nicht gleich eine HO-Dampflok durch. Und hier spielen auch keine Kinder mit Bauklötzen. Und haben das auch nie getan. Und hier wird auch nicht mehr probiert, modelliert und abstrahiert. Das hier ist kein Modell, kein Städtebau, kein Planungsgebiet, keine Bauaufgabe. Das hier ist nicht das Ende einer Überlegung, das Ergebnis einer Studie, eines entwerferischen Tuns, eines architektonischen und städtebaulichen Denkens.
Und doch, das alles hier hat Hand und Fuß. Es ist geordnet, genordet, gewollt. Es hat Struktur, Form, Material, Farbe. Es ist ausgewählt, zusammengesetzt, gebaut und gemacht, es gibt Beziehungen, Achsen, Details, Situationen und Zusammenhänge.
Und sie haben Namen für diese Phänomene hier:
Die koreanische Siedlung,
die Stadt am Draht
die Satellitenstadt und Satellitenschüsselstadt
Der Hafen
Resortcity 234 (die Reservestadt)
Tabletown und East and West ChairCity
Die Medienfassade
Wenn schon, dann ist es vielleicht also eine ganz besondere Art des googlestreetview?
Ein Bild: Die Vertiefung Eine getrocknete Pfütze im Lehm. Sie ist Zeuge des Regens, sie formt das Wasser. Sie ist nicht Regen. Sie ist nicht Wasser. Sie ist nicht Lehm. Sie ist nicht das Abbild des Regens. Sie ist Gegenwart, sie hat Geschichte und Zukunft. Sie bleibt Gefäß, für den nächsten Regen.
Jahrzehntelange Erfahrung dreier Leben in den Städten. Verdichtete, geschichtete, geordnete, gefühlte Stadtwirklichkeit. Soziologisch, phänomenologisch, geschichtlich, persönlich geliebte, gefärbte, verfremdete, vernetzte, verklebte und verschrumpelte Stadt.
Wir lieben die Stadt. In der Stadt verdichtet sich Kultur. Stadtluft macht frei. In der Stadt bin ich anonym. Spielort Stadt.
Es handelt sich hier um die umgestülpte Stadtraumzeit. Das Negativ, der Abdruck, oder besser, der Klang, das Echo der gelebten, erlebten und erfahrenen Stadt. Die Form Stadt, das Gefäß Bewußtsein, der Inhalt Leben.
Eröffnung plan.d produzentengalerie, Düsseldorf. Einführende Worte:
Meine Damen, ich möchte Sie zu Beginn dieser Rede darauf hinweisen, dass ich das eine oder andere Kraft- bzw. Fäkalwort verwenden werde. Ich bitte dies zu entschuldigen und biete zarten Gemütern und Gemüterinnen hier noch an, vorzeitig den Raum zu verlassen, etwas frische Luft zu schnappen, vielleicht eine Zigarette im unöffentlichen Raum...bitte...
Liebe Herren, nehmen Sie sich ein Beispiel an den Damen und halten sie weiter still! Liebe Künstler und Künstlerinnen, haltet euch fest. Dies wird holprig! Zwar kommt diese Rede dieses mal ganz ohne Eigenwerbung daher, aber für Peter Clouth, Silvia Liebig und Gudrun Kattke bedeutet das nichts gutes. Denn in der Zeit, die es braucht, um auf Termine hinzuweisen, ist kein Platz für angemessene Beleidigung. Deshalb, heute, hier, ganz ohne Werbeunterbrechung. Ich spreche hier von Werbeunterbrechung in Form von Konzertterminen, Terminen, wie den 21. September 2010, wo half past selber schuld im zakk, abends, Kinderlieder für Erwachsene zum Besten gibt, also den ersten Teil: Lausbubenamok. Halten wir also fest: Für Peter Clouth, Silvia Liebig und Gudrun Kattke wird diese Laudatio somit zur Achterbahn der Gefühle Laudatio, das ist laut wikipedia eine Lobrede zu Ehren einer Person, meistens eines Preisträgers...blabla blablabla blabla...Der Begriff wird allerdings auch bei der Verleihung von Negativpreisen verwendet, deren Ansprachen in der Regel eine Kritik an der entsprechenden Person darstellt. Davon hab ich mich inspirieren lassen. (räusper)
Kunst...(Pause)...ist scheiße. Das wissen wir alle. Das wurde schon tausendmal gesagt. Und es hat leider mindestens über neunhundertmal gestimmt, um genau zu sein 977-mal! Bleibt die Hoffnung, diese Ausstellung gehöre zu den anderen 23. Ach, tapfere 23...
Doch bleiben wir beim Thema.
Kunst ist scheiße. Und bedauerlicherweise werde ich das heute insgesamt 11mal sagen müssen. Vertrauen sie mir, ich habe nachgezählt. Denn so etwas zu sagen, genau das wird von mir erwartet. Der gierige Laudatio Hörer, respektive die gierige Laudatio Hörerin möchte, dass ich kraftvolle Wahrheiten und donnernde Anklagen ausspreche, ganz im Gegensatz zum Künstler, der Lob und Anerkennung erwartet, doch aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der Besucher gegenüber den Künstlern, beuge ich mich der Mehrheit und erfülle deren Ansprüche gerne und willig. Und solange dafür kein besseres Fäkalwort gefunden wird, solange ist Kunst eben scheiße!
Kunst ist scheiße. Und dieser Slogan ist von mir nicht zufällig gewählt. Gerade im Fäkalbereich werden ja die meisten Lacher erzielt und als Populist sind mir Lacher sehr, sehr wichtig. Das lockert den -an sich trockenen- Event etwas auf, und zaubert das eine oder andere Lächeln auf die vollen Backen der Häppchen-kauenden Besucher-Gesichter. Eigentlich wird diese Lacherquote nur noch von zotigen Sexwitzchen getoppt, man weiß nicht warum, es mag an der Blödheit des Menschen liegen.
Um dies zu belegen, hier ein paar Beispiele: Kaffee Latte...oder nein, lieber doch keine weiteren Beispiele. Bleiben wir bei der Kernaussage dieser Rede:
Kunst ist scheiße. Doch Scheiße...ist eine stinkende Notwendigkeit des Lebens, ohne sie würden wir uns auffüllen bis wir platzten. Und das wollen wir nicht, denn wir füllen uns ja so gerne auf, denn wir füllen uns ja so mit so viel auf. Doch danach, da muss der Dreck raus. Nachdem man Politik, Kirche und Gesellschaft, womöglich noch Fernsehen, Kindheit und Werbetafeln verdaut hat (und da hat man noch nichts gegessen) da muss es einfach raus. Enough is enough, oder wie es unser Bundeskanzler einst sagte, wichtig ist, was hinten raus kommt.
Kunst ist scheiße. Und wen finden wir in ihrer Nähe?
Da tummeln sich drei sonderbare Gestalten. Es sind Peter Clouth, Gudrun Kattke und Silvia Liebig. Und da gibt es die Besucher und Besucherinnen, sie schwirren wie Fliegen um die Kunst.
Und was diese drei Scheisser und Scheisserinnen, ich möchte sie an dieser Stelle Künstler nennen, was diese drei alles aus dieser Scheiße zu zaubern vermochten und vermögen, das verdeutlicht diese Ausstellung und das können wir schwirrenden Fliegen hier sehen und erahnen.
Die Ausstellung heisst übrigens Stadtkulturverdichtungsgenossen. Jetzt mal ehrlich. Der Titel ist doch...äh...zu lang und falsch noch dazu.
Das Wort "Genossen" im Titel impliziert, da würde zusammengearbeitet werden, aber wir wissen natürlich, dass es sich bei den dreien um Konkurrenten handelt, die auch noch einen ähnlichen Markt bedienen und deshalb niemals Freunde werden können.
Um diese Behauptungen zu belegen, sage ich: "Die Website von Silvia Liebig ist die Schönste." Und schon hör ich Clouth und Kattke kochen.
Nein, sie können keine Freunde werden, das ist, als ob sie bei ihrer Geburt jeder ein Drittel eines alten Amuletts bekommen hätten, und als sie erwachsen sind und sich küssen wollen, merken sie, dass sie Geschwister sind, und dass das gar nichts werden kann.
Das ist schade, denn sie könnten sich eigentlich gut verstehen aufgrund etlicher Gemeinsamkeiten. Sie müssten sich nicht bekriegen.
Aber bleiben wir beim Thema. Kunst ist scheiße.
Und schauen wir uns diese Scheiße einmal genauer an. Da gibt es große und kleine Stückchen, da gibt es Kreise, Dreiecke und Quadrate, da gibt es unzählige Variationen in den verschiedensten Konsistenzen, aus ein und demselben Ursprungsmaterial:
Aus den Resten der Gesellschaft.
Da sind Getränkekartons, Wäscheklammern, Seile, Fäden, Nylonfäden, Klebeband, Perlen, Lego, Plastikabfall, alle Kunststoffsorten wie zum Beispiel PA, PE, PP, PS, PVC, ABS, POM, SAN, PET, PET-G, PPO, PCA, PBT, PC, PMMA, PPS, Teflon und Silikonkautschuk sowie Sondermaterialien auf Anfrage,
womöglich könnte man für das eine oder andere Objekt sogar noch Pfand erhalten,
da gibt es außerdem Steine, Holz, Ton, Gips, Bambus, Glas, Karton, natürlich jede Menge Karton, Teile von Steinen, Teile von Holz, Teile von Gips, Teile von Bambus, Teile von Glas, Teile von Karton, jede Menge Teile, jede Menge Karton,
alles aus Zweit-, Dritt- , Viert-, Fünft- oder Noch-mehr-benutzung, und wir sind uns alle einig, all diese Materialien haben schon Tage gesehen, wo sie als neu und unbenutzt galten, aber das ist nicht heute.
Wie dem auch sei, aus diesem Ausschuss der Gesellschaft wird hier wieder eine neue Gesellschaft zusammengebastelt, neue Häuser und neue Städte und neuer Abfall, ganz so, als gäbe es nichts Sinnvolleres zu tun, als Häuser und Städte zu bauen.
Alle drei machen dies, so scheints, mit einer Leichtigkeit, die Kinderbasteleien nahekommt und einer Besessenheit, die auch Kinderbasteleien nahekommt.
Und ich möchte hier Andy Goldsworthy zitieren: " Soviel Mühe, um mühelos zu leben."
Kunst ist scheiße. Und als Kind ist eben diese Scheiße das erste Erfolgserlebnis, das erste selbstgemachte Produkt. Der Stolz zaubert hier ein Lächeln ins Kinder- und damit auch ins Muttergesicht. Und das Lächeln in den Gesichtern der drei Künstler und im Gesicht des Durchschnittsbesuchers vermittelt uns: Es war ein Vergnügen, eine künstliche Stadt aus dem Ärmel zu schütteln, und uns ist es ein Vergnügen sie anzusehen.
Nach eigenen Angaben ist Silvia Liebig Heldin, Sucherin, Leberin und Konzipiererin.
Gudrun Kattke hält sich für eine Bürgerin, Bauerin, Stadtstreiferin, Pflückerin und Geherin.
Und der feine Herr Clouth gibt vor zu sein, ein Mensch, Allergiker, Erfinder, Veredler, Zeitvertreiber, Leber und Arbeiter.
Schwer zu sagen, welch ein Produkt aus solchen Tätigkeiten entsteht,
deshalb ganz kurz und knapp, in meinen eigenen Worten:
Die Heldin Liebig macht, wie ich es nenne, "2D 3D Comic Foto MultiD, gerne auch groß".
Die Bürgerin Kattke inszeniert Chaos zwischen Tante Emma Laden und Hong Kong.
Und der Mensch Clouth ist neben Karton- nun auch noch Hausbesessener, er baut Planeten, nur um sie behausen zu können, außerdem behält er auch die dafür nötige Infrastruktur im Blick, wie Schiffe und Krane.
Kunst ist scheiße. Und weil in der Kunst ja alles erlaubt ist, da darf sie sich auch selbst beschimpfen und genüsslich auf sich herumtrampeln,
da darf sie aber auch mal loben, und das sind die stillen Momente im Leben eines Künstlers, wo einer mal danke sagt, obwohl er gar kein Bild kaufen möchte.
Ich sage: Danke, Peter Clouth, danke, Silvia Liebig und danke, Gudrun Kattke - für die Einladung in eure Welt.
Es war euch ein Kinderspiel, dies hier alles hergestellt zu haben, wir selbst haben kindliche Freude an Schnick und an Schnack.
Einziges Manko, dass es den echten Kindern verboten wird, hier etwas anzufassen.
Da ich selbst keine Kinder habe, sage ich an dieser Stelle "Haha Haha", verweise aber darauf, dass es meiner aktuell-anarchistischen Lebenseinstellung zufolge, den Rotzlöffeln eigentlich erlaubt sein sollte, alles, aber auch wirklich alles immer anzufassen. Wie soll man denn zum Beispiel so einem gelben Kran widerstehen können, wenn man 8 Jahre oder 6 Jahre oder 41 Jahre alt ist und von Beruf Junge?
In einem Kinderparadies muss es Kindern erlaubt sein, alles anfassen zu dürfen!
Da müsste der Künstler eigentlich weg von der Sparsamkeit und hin zur Verschwendung und Farbe benutzen, die innerhalb von Minuten oder wenigstens Monaten trocknet und dabei völlig ungiftig ist, sowie stabiles Material verwenden, das zerstörerischen Anarcho-Kinderpfoten standhält.
So ist das kein Kinderparadies!
Das haben Clouth, Kattke und Liebig nicht bedacht, als sie diese Kinderstadt errichteten.
Kunst ist scheiße. Und auch das haben die drei nicht bedacht, denn hätten sie dies in Erwägung gezogen, es gäbe hier sicherlich ein Permanent-Duftspray, sei es Zitrus, Erdbeer oder Hawaii, um den Kunst-Konsequenzen entgegenzutreten.
Doch das taten sie nicht...
...riechen Sie es?
Und diese Frage habe ich strategischerweise ans Ende dieser Laudatio gelegt, um mit Hilfe der Sommerhitze ein Maximum an Wirkung daraus zu erzielen.
Ahhh, riechen Sie es?
Das ist der Duft der Kunst, der unsere Naseninnenwände streichelt.
Atmen sie tief und fest den Duft der Kunst...
Und wer jetzt mitgezählt hat, wird bemerken, dass ich meinen heutigen Slogan erst neun mal statt der versprochenen 11mal sagte.
Deshalb:
Kunst ist eine Notwendigkeit des Lebens, damit wir nicht platzen.
Kunst ist verdaute Gesellschaft.
Kunst ist scheiße. Kunst ist Scheiße.
Nase zu und durch.
Thank you.
Good night. Good shit.